Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich
für eine differenzierte Gewerbestruktur in
Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
Stefan Genth ist Hauptgeschäftsführer beim Handelsverband Deutschland – HDE e.V. und geht im Interview nicht nur auf den „Ausbildungstrend“ ein, sondern auch auf die Entwicklung des Lokalgewerbes, das Thema unseres neuen Whitepapers ist.
Das Thema „Nachwuchsmangel“ war auch bei unserer Veröffentlichung in der Welt am Sonntag von zentraler Bedeutung. Es ist zu befürchten, dass ganze Wirtschaftsbereiche in naher Zukunft ohne Fachkräfte dastehen. Wie sieht es im Einzelhandel aus?
Stefan Genth: Das Ausbildungsengagement der Handelsunternehmen ist auch in Zeiten der Pandemie ungebrochen hoch und die Zahl der angebotenen Stellen für die Verkaufsberufe steigt weiter an. Das zeigen die aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit deutlich. Im April 2021 entfallen demnach auf die beiden Kernberufe des Einzelhandels insgesamt 12,5 Prozent aller angebotenen Ausbildungsstellen. Damit nehmen der dreijährige Ausbildungsberuf Kaufmann / Kauffrau im Einzelhandel mit rund 31.400 Ausbildungsstellen und einem Plus von 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat sowie der zweijährige Ausbildungsberuf Verkäufer / Verkäuferin mit knapp 22.600 Stellenangeboten und damit einem Plus von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat wieder die beiden Spitzenpositionen im Ranking ein. Auch der neue Ausbildungsberuf Kaufmann / Kauffrau im E-Commerce verzeichnet ein Plus von sechs Prozent. Die praxisnahe Alternative zum Studium, die sogenannten Abiturientenprogramme des Handels, rangieren mit mehr als 9.200 Stellen in den Top-Ten. Durch das Programm können hochschulzugangsberechtigte Teilnehmer bis zu drei Abschlüsse in drei Jahren erreichen: Ausbildung, Fortbildung und Ausbilderschein. Insgesamt bietet der Einzelhandel duale Ausbildungen in über 60 Berufen sowie Abiturientenprogramme und duale Studiengänge an. Die jungen Menschen haben also sehr gute Chancen einen Ausbildungsplatz im Einzelhandel zu bekommen.
Die Pandemie erschwert jungen Menschen den Einstieg in die Berufsausbildung, wo lässt sich hier aus Ihrer Sicht ansetzen?
Stefan Genth: Das duale Berufsbildungssystem hat sich trotz der Corona-Pandemie insgesamt betrachtet als robust erwiesen. Bei genauerer Betrachtung gibt es auch keine Lehrstellenkrise, wie sie vielfach ausgerufen wurde. Vielmehr ist der Bewerbermangel zu spüren. Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben die Durchführung bewährter Formate in der Berufsorientierung in den letzten Monaten verhindert. Weder konnten persönliche Beratung, noch Betriebspraktika oder Ausbildungsmessen, stattfinden. Erste digitale Angebote und die Umstellung auf digitale Recruitingprozesse haben dies zwar versucht abzufangen und sind von der Zielgruppe auch gut angenommen worden, aber die Stellenbesetzung fand letztes Jahr auch noch weit bis in den Winter hinein statt. Damit sich das in diesem Jahr nicht wiederholt, ist es umso wichtiger, dass jetzt alle Beteiligten – auch die Politik – mit einer positiven Botschaft die Chancen einer Ausbildung nach draußen tragen. Die Attraktivität der dualen Berufsausbildung muss deutlicher kommuniziert werden.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie zum Thema „Ausbildungstrend“ beim HDE?
Stefan Genth: Die Handelsunternehmen haben bereits gehandelt und ihr Ausbildungsplatzangebot 2021 erneut aufgestockt. Hier setzt der Einzelhandel einen wichtigen Gegentrend zur allgemeinen Entwicklung. Diese Botschaft muss zusammen mit den Botschaften der vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten und sehr guten Karrierechancen bei den Zielgruppen ankommen. Hier sind nicht nur die Schülerinnen und Schüler oder Studienabbrecherinnen und Studienabbrecher unsere Adressaten, sondern auch deren Eltern, die eine wichtige Beratungsfunktion einnehmen.
Die neue Ausgabe des Whitepapers unserer Initiative für Gewerbevielfalt powered by Das Telefonbuch trägt den Titel „Das Lokalgewerbe nach Corona“, in dem wir die Daten zur Gewerbeentwicklung in Deutschlands Städten und Gemeinden auf den aktuellen Stand gebracht haben. Unsere Recherchen zeigen, dass sich die Lage im Lokalgewerbe bis Corona stabil entwickelt – vielerorts sogar verbessert hat. Dieser Trend ist durch die Pandemie gefährdet. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Stefan Genth: Die Pandemie hat den vom Lockdown betroffenen Händlerinnen und Händlern den Boden unter den Füßen weggerissen und sie zurückgeworfen. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres haben sie einen Umsatzverlust von 40 Milliarden Euro zu beklagen. Diese Entwicklung bringt insbesondere den innerstädtischen Einzelhandel in Existenznot. Bis zu 120.000 Geschäfte könnten zur Aufgabe gezwungen sein. Zudem hat eine aktuelle HDE-Umfrage ergeben, dass Handelsbetriebe aufgrund ihrer pandemiebedingt angespannten Lage nicht in ihre Zukunft investieren können. Sie haben mit den Umsatzausfällen der vergangenen Monate und den Ausgaben für notwendige Hygienemaßnahmen zu kämpfen. Hier ist daher schnelle und wirksame staatliche Unterstützung gefragt, sowohl in Form passgenauerer Corona-Hilfen als auch durch gezielte Modernisierungshilfe.
Über uns:
Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich für den lokalen Einzelhandel und inhabergeführte Kleingewerbe in Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
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