Nachrichten rund um die Initiative

10. November 2021

Städte im Inventur-Modus?

Inwiefern stehen Städte auf dem Prüfstein? Welche Hebel kann der Handel bedienen? Und: Wie sieht die Prognose für das Weihnachtsgeschäft aus? Boris Hedde ist Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH KÖLNund Experte der Initiative für Gewerbevielfalt powered by Das Telefonbuch und skizziert mögliche Lösungsansätze.

Herr Hedde, die Zukunft der Innenstädte ist jetzt, das Momentum für den Wandel ist durch die Pandemie aber auch den Druck der Online-Umsätze da. Die Lösung liegt aber nicht darin, dass jedes stationäre Offline-Geschäft einfach einen Online-Shop anbietet. Wo können die Städte jetzt ansetzen, was hat aus Ihrer Sicht jetzt grundlegende Priorität?

Boris Hedde: Wir haben gelernt, dass nicht die Transaktion im Handel der Hebel ist. Vielmehr sind Städte und Quartiere in Kooperation gefordert. Es geht darum, digital zu zeigen, was ein Quartier ausmacht, welche Vielfalt besteht und wie die Bürger:innen davon profitieren können. Der kommerzielle Part kommt erst danach und oft von allein. Denn dort, wo Besuchsfrequenz ist, ist gutes Wirtschaften möglich.

Boris Hedde ist Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung (IFH KÖLN).

Lautet die Erfolgsformel für die Innenstädte: Produkt plus Erlebnis plus Service?

Boris Hedde: …plus Bequemlichkeit. Wir haben Konsumentinnen und Konsumenten erzogen, die es gewohnt sind, dass ihnen alles abgenommen wird. Auch hier bieten sich viele Möglichkeiten: Vom Tütenabholdienst bis zur Lieferung nach Hause. Natürlich muss die Finanzierbarkeit gewährt sein, sodass es Sinn macht, ausgehend von den örtlichen Zielgruppen Maßnahmen zu priorisieren.

Wohnen, Entertainment, Einkauf und Arbeit könnten als Gemeinschaftskonzept mit Mischimmobilien das Leben in die Städte zurückbringen – wie sehen Sie das?

Boris Hedde: Grundsätzlich brauchen wir nicht nur eine Mischnutzung, sondern eine Multifunktionalität. Das heißt nicht nur bekannte Anbieter sind zu kombinieren, sondern auch neue Anbieter aus Kultur, Handwerk, Kreativwirtschaft und Co. müssen in den Städten ihren Platz haben. Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob dies in einzelnen Immobilien geschehen soll oder besser in ganzen Straßenzügen. Verdichtung ist gut, wenn viele davon profitieren. Um proaktives Ansiedlungsmanagement in Innenstädten aktiv zu steuern, engagieren wir als IFH KÖLN uns gerade stark. Mit den „Stadtlaboren für Deutschland“ wird mit 15 Kommunen ein digitales Tool entwickelt, um Leerstand- und Ansiedlung vorausschauend zu managen. Das Projekt schafft Standards für ein dialogorientiertes Miteinander im Vitalisierungsprozess von Stadtzentren und ermöglicht das Lernen der einzelnen Innenstadtakteur:innen voneinander.

Nicht jedes Stadtzentrum und nicht jeder Ortskern bieten alle die gleichen Voraussetzungen, entsprechend gibt es nicht eine Königslösung für beliebte Innenstädte. Braucht jede Kommune ein Alleinstellungsmerkmal?

Boris Hedde: Ich bin sogar der Überzeugung, dass jede Kommune eine individuelle Alleinstellung hat. Diese ist rauszuarbeiten und entsprechend zu kommunizieren. Wenn es um Information, Inspiration und Interaktion geht, ist Positionierung entscheidend. Was für Unternehmen gilt, gilt auch für Innenstädte.

Öffnungszeiten gibt es bei Onlineshops nicht. Ist entsprechend eine Verfassungsänderung für die Sonntagsöffnung notwendig?

Boris Hedde: Das ist ein schon lange heiß diskutiertes Thema. Auch hier gilt weniger in Absolutem denken. Eine pauschale Sonntagsöffnung wird nicht vielversprechend sein und ist im Übrigen auch gar nicht nachgefragt. Vielmehr sollte die Frage sein, wie punktuell die Möglichkeit bestehen kann, Menschen ihre Innenstadt wieder näherzubringen. Onlineshops verdienen nachweislich an Wochenenden mehr. So gesehen wäre es schön, die Bürger:innen könnten hin und wieder auch einmal für den Innenstadtbesuch motiviert werden.

Was erwarten Sie vom Weihnachtsgeschäft?

Boris Hedde: Das Weihnachtsgeschäft wird herausfordernd. Einerseits ist unsicher, wie es mit den Inzidenzen weitergeht und was dies in puncto Belebung und Abstand für Folgen hat, andererseits wird der Handel von den aktuellen Lieferengpässen betroffen sein. Nicht nur die Lieferung, sondern auch die eingeschränkte Produktion in den Herstellerländern wird es den lokalen Händler:innen nicht einfacher machen. Dennoch bin ich guten Mutes, dass auch diese Herausforderung von den Unternehmer:innen gemeistert wird.


Über uns:
Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich für den lokalen Einzelhandel und inhabergeführte Kleingewerbe in Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
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