Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich
für eine differenzierte Gewerbestruktur in
Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
Die Politik greift Unternehmen mit großzügigen Rettungspaketen unter die Arme. Auch weitreichende Lockerungen versprechen in vielen Bundesländern eine langsame Rückkehr zur neuen Normalität. Auf diese Unterstützung sind kleine und mittelständische Unternehmen grundlegend angewiesen. Vierzig Prozent von ihnen sehen jedoch sich selbst in der Verantwortung, ihre Wettbewerbssituation für die Zeit nach Corona zu verbessern. Das zeigt eine fortlaufende Repräsentativ-Befragung der „Initiative für Gewerbevielfalt powered by Das Telefonbuch“, die das Marktforschungsinstitut CIVEY seit April durchführt.
Wenn es um konkrete externe Hilfsmaßnahmen geht, dann fordern 43 Prozent nicht nur einen Abbau der Bürokratie und Förderung durch die Politik, sondern auch ein Umdenken der Verbraucher hin zu mehr lokalem Einkaufen. Im Interview resümiert Michael Borchardt, Berater und Coach bei RetailConsult.de, wie die Corona-Pandemie das Verbraucherverhalten verändert hat. Und wie Händler ihre digitalen Möglichkeiten besser ausschöpfen.
Lieber Herr Borchardt, wie hat Corona die Situation im Lokalgewerbe verändert? Welches Fazit ziehen Sie aus den vergangenen Monaten?
Borchardt: Die Pandemie beschleunigt die ohnehin seit Jahren laufenden Entwicklungen und verschärft sie häufig noch. Auf Verbraucherseite sind mehrere Veränderungen feststellbar. Die Kundenfrequenz geht deutlich zurück. Viele wägen immer noch das gesundheitliche Risiko eines Besuchs der Innenstadt ab. Kunden, die den Weg in die Einkaufsgebiete wagen, verweilen im Schnitt kürzer in den Geschäften. Die Abstands- und Hygieneregeln verursachen eine gewisse Lustlosigkeit der Kunden, schließlich geht vor allem die Spontaneität beim Shoppen verloren. Gewerbetreibende tun sich schwer, auf diese neue Situation zu reagieren. Sie kämpfen nicht nur mit den betriebswirtschaftlichen Bedingungen ihrer Geschäftstätigkeit: Einbruch des Umsatzes bei laufenden Fixkosten und zusätzlichen Investitionen im Zusammenhang mit der Krise, etwa für den Desinfektionsschutz, Maßnahmen zur Einhaltung der Abstandsregelungen sowie kontaktlose Kartenterminals. Der zunehmende Rückstand bei der Digitalisierung macht sich in den unterschiedlichsten Bereichen bemerkbar. Die Herausforderung besteht hier nicht nur darin, den Rückstand aufzuholen, sondern überhaupt die richtigen Digitalisierungsmaßnahmen zu ergreifen.
Wie genau wirkt sich die veränderte Situation auf das Verbraucherverhalten aus?
Borchardt: Derzeit sind Verbraucher auf der Suche nach neuen Präferenzen für die unterschiedlichen Vertriebskanäle. Grundsätzlich herrscht eine große Zurückhaltung bei größeren Kaufentscheidungen aufgrund von Kurzarbeit oder drohender Arbeitslosigkeit. Begleitend wird diese Zurückhaltung von der unklaren Präferenzlage im Hinblick auf die Ausgabenverteilung zwischen Konsumgütern und Dienstleistungen, nämlich Reisen in der bevorstehenden Urlaubszeit. Bei Kunden mit höherer Bildung besteht weiterhin ein großes Interesse an nachhaltigem Konsum – auch als moralische Rechtfertigung, die aktuellen Konsumeinschränkungen weiter zu praktizieren. Auch der Lieferservice bleibt erste Wahl beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen im lokalen Gewerbe.
Wir haben KMU in der Krise befragt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Unternehmen ihren Unternehmergeist noch nicht verloren haben. Ihr Eindruck?
Borchardt: Das ist sicherlich zutreffend. Aber auch hier dürfte sich die Schere zwischen bereits vorher innovativen und den eher traditionell-konservativen Unternehmen weiter öffnen.
Stichwort neue Herausforderungen und Chancen: Wachen Einzelhändler langsam aus ihrem digitalen Dornröschenschlaf auf?
Borchardt: Ein ganz klares Jein! Aus meiner Sicht sind zu viele lokale – und hier v.a. die kleineren – Gewerbetreibenden immer noch zu intensiv mit Grundsatzfragen der Digitalisierung beschäftigt und kommen nicht zur Umsetzung. Auf der anderen Seite vermerke ich positiv, wie auch viele Bäcker, Metzger oder mobile Marktbeschicker auf einmal (kontaktlose) Zahlungsterminals vorhalten und ihre Kunden zu deren Nutzung animieren – Stichwort: Vermeiden von Kontaktinfektionen. Aber das sind meines Erachtens noch sehr überschaubare Fortschritte. Im Hinblick auf z.B. die Identifikation genereller Kundenbedürfnisse, den Einsatz lokaler Online-Marktplätze, der Etablierung von Lieferservices – gerne auch in Kooperation mit lokalen CarSharing-Anbietern, Kurierservices/Taxizentralen oder bereits etablierten Lieferdiensten, informativen Händlerwebsites oder auch den kreativen Einsatz von Social Media oder gar einer professionellen Marketing-Automation gibt’s immer noch viel zu tun.
Kennen Sie besonders positive Beispiele für kreative digitale Lösungen?
Borchardt: Besonders positiv aufgefallen sind mir HändlerInnen, die ihren digitalen Service radikal ausgebaut haben und ihre Kunden per Social Media in Fast-Echtzeit beraten und damit einen Präsenz-Verkaufsprozess nachbilden.
Was kommt in der nächsten Phase der Pandemie auf das Lokalgewerbe, den Einzelhandel und Co. zu?
Borchardt: Laufende Prozesse werden sich auch hier nochmals beschleunigen – positive wie negative. Die Innenstädte werden weiterhin unter den beschriebenen Entwicklungen leiden, Leerstände werden massiver als bereits jetzt in den ersten Monaten der Pandemie zunehmen. Die Bedeutung des Handels im Vergleich zur Gastronomie und zu anderem Gewerbe wird weiter abnehmen. Der e-Commerce dürfte entsprechend weiter an Bedeutung gewinnen und auch bislang noch vernachlässigte Branchensegmente beflügeln, beispielsweise den Verkauf von Schmuck und DIY-Produkten sowie Möbeln. Insgesamt werden beschleunigende Konzentrationstendenzen zu beobachten sein und die Bedeutung des klein- und mittelständischen Gewerbes dramatisch abnehmen.
Über uns:
Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich für den lokalen Einzelhandel und inhabergeführte Kleingewerbe in Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
Informieren Sie sich hier über unser Anliegen und werden Sie hier selbst Teil der Initiative! Zur FAQ geht's hier