Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich
für eine differenzierte Gewerbestruktur in
Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
Johanna Erlbacher, HWK Oberfranken, zum Coronavirus und zu den Auswirkungen auf das mittelständische Handwerk
Corona beschleunigt viele Entwicklungen, die das deutsche Lokalgewerbe seit Längerem prägen. Das trifft einerseits auf den Wettbewerbsdruck zu, den der Online-Handel und global operierende Franchises auf kleine Geschäfte und Betriebe ausüben. Knapp ein Drittel der Entscheider und Beschäftigten im Gewerbe nehmen die Konkurrenz des Internethandels und die Marktdominanz großer Ketten momentan deutlich wahr. Das zeigt eine fortlaufende Repräsentativ-Befragung der „Initiative für Gewerbevielfalt powered by Das Telefonbuch“, die das Marktforschungsinstitut CIVEY seit April durchführt. Zum anderen wurde es in der Pandemie für viele Gewerbetreibende überlebenswichtig, ihren eigenen Geschäftsbetrieb zu digitalisieren. Allerdings sehen weniger als ein Fünftel der KMU Bedarf, digitale Möglichkeiten wie regionale Online-Marktplätze, Social-Media-Werbung oder kommunale Angebot-Apps zu nutzen.
Johanna Erlbacher, Abteilungsleiterin bei der Handwerkskammer Oberfranken, spricht im Interview über die Chancen, die die Digitalisierung vor allem für das Handwerk bietet, von der Prozessoptimierung bis hin zur Nachwuchswerbung.
Liebe Frau Erlbacher, wie genau unterstützen Sie das Handwerk bei der Digitalisierung?
Erlbacher: Das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk (KDH) ist Teil der Förderinitiative „Mittelstand 4.0 – Digitale Produktions- und Arbeitsprozesse“ und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert. Unser Ziel ist es, Handwerksbetriebe praxisnah bei Digitalisierungsprozessen zu unterstützen. Einerseits entwickeln wir Schulungen, die speziell auf die Bedürfnisse des Handwerks zugeschnitten sind, andererseits unterstützen und begleiten wir Betriebe bei der Umsetzung von konkreten Digitalisierungsmaßnahmen.
Das KDH gliedert sich in fünf Schaufenster. Bei uns, an der Handwerkskammer für Oberfranken, ist das Schaufenster „Fertigung und Automatisierungstechnologien“ angesiedelt. Wir bieten also Hilfestellungen zu Themen wie 3D-Druck, digitales Aufmaß und digitale Messtechniken, aber auch Softwarelösungen zur Automatisierung von Prozessen oder zum Dokumentenmanagement.
Wie hat Corona die Situation im Handwerk verändert? Hat sie sie überhaupt verändert? Wenn ja, welche Entwicklungen nehmen Sie aktuell besonders wahr?
Erlbacher: Von den wirtschaftlichen Auswirkungen abgesehen, hat die Corona-Pandemie deutlich gemacht, wie wichtig die Digitalisierung für den Betriebsalltag geworden ist. Themen wie mobiles Arbeiten mit Apps im Handwerk, Abwicklung von Wartungsprozessen oder der Ersatz von analogen Formularen durch digitale Dokumente haben in den letzten Wochen noch stärker als bisher das Interesse der Betriebe geweckt. Aber auch wir im KDH haben die Situation zum Anlass genommen und beispielsweise viele unserer Präsenzveranstaltungen auf Online-Seminare umgestellt.
Stichwort Veränderungen: Welche Möglichkeiten bietet die Digitalisierung für das Handwerk, diese Veränderungen erfolgreich mitzugehen?
Erlbacher: Prinzipiell lassen sich fast alle Geschäftsbereiche eines Handwerks-betriebs digitalisieren und so die Prozesse optimieren. Wir haben unseren Schwerpunkt in Bayreuth auf Fertigung und Automatisierung gesetzt. Aktuell arbeiten wir viel im Bereich 3D-Scan und 3D-Druck. Aufgrund der vielfältigen Einsetzbarkeit ist die 3D-Technologie für eine Vielzahl von Betrieben interessant. Man kann heute fast alles scannen und drucken: Von der kleinen Miniatur, über Ersatz- und Zubehörteile bis hin zum ganzen Modellhaus. Und auch die verwendbaren Materialien sind vielfältig. Egal ob Kunststoffe, Metalle oder Schokolade, die additive Fertigung bietet viele Einsatzbereiche und Möglichkeiten. Aber sinnvoll digitalisieren lässt sich eigentlich überall: in der Kundengewinnung, in der Mitarbeiterkommunikation, bei der Rechnungs- und Auftragsabwicklung oder eben bei den handwerklichen Tätigkeiten selbst.
Welche Gewerke und Unternehmen können davon profitieren?
Erlbacher: Alle Gewerke und Unternehmen können von der Digitalisierung profitieren. Das zeigen bereits unsere Praxisbeispiele, die wir hier in Oberfranken umgesetzt haben. Diese reichen vom Einsatz von Social Media im Vertrieb über die Betriebsorganisation mittels moderner Warenwirtschaftssysteme bis hin zur additiven Fertigung in der Orthopädietechnik oder zum digitalen Aufmaß in den Ausbauhandwerken. Es lassen sich wirklich in allen Bereichen und Gewerken sinnvolle Digitalisierungsmaßnahmen durchführen, von denen die Betriebe selbst, aber natürlich auch die Kunden einen großen Nutzen haben.
Das Kernproblem vieler Unternehmen und Betriebe bleibt bestehen: der Fachkräftemangel. Wie können digitale Tools und Prozesse hierbei nützlich sein?
Erlbacher: Viele junge Menschen verbinden mit dem Handwerk leider immer noch in erster Linie schmutzige Hände und frühes Aufstehen. In vielen Berufen ist das allerdings gar nicht der Fall. Die Digitalisierung trägt dazu bei, gerade das Image von Ausbildungsberufen weiter zu verbessern. Handwerk ist in vieler Hinsicht High-Tech. Mit zunehmender Digitalisierung lässt sich das noch deutlicher machen. Außerdem können mit digitalen Tools und Prozessen auch die Rahmenbedingungen verbessert werden. Nehmen wir den Beruf des Bäckers als Beispiel. Hier lässt sich durch digital gesteuerte Reiferäume, Teigbereiter oder Vorwiegeanlagen ein großer Teil der Nachtarbeit in den Tag verlegen. Auch das macht viele Ausbildungsberufe wieder für junge Menschen attraktiver. Und nicht zuletzt hilft die Digitalisierung auch bei der Nachwuchswerbung. Social Media, YouTube und Co. sind auch im Handwerk keine Fremdwörter und helfen dabei, Werbung fürs Handwerk zu machen und junge Leute für eine Ausbildung zu begeistern.
Wie beurteilen Sie die bisherigen politischen Hilfsmaßnahmen. Was sagen Sie zur geplanten Mehrwertsteuersenkung?
Erlbacher: Die Soforthilfen von Bund und Ländern waren wichtig, um kurzfristig Unternehmensinsolvenzen zu verhindern. Auch das Konjunkturpaket ist insgesamt ein guter Mix und bietet viele Chancen, dass das Handwerk nach dem Lockdown wieder Tritt fassen kann. Wichtig ist uns, dass die Maßnahmen schnell und bürokratiearm umgesetzt werden. Die Mehrwertsteuersenkung sehe ich aktuell noch etwas kritisch. Zwar kann sie einen positiven Impuls auf die Nachfrage setzen, aber sie geht auch mit großen bürokratischen Belastungen und Umstellungskosten einher. Viele Kunden werden erwarten, dass die Steuersenkung an sie weitergegeben wird. Das wird aber von vielen Betrieben einfach nicht sinnvoll abbildbar sein.
Wagen wir einen Ausblick: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung im Handwerk?
Erlbacher: In Sachen Digitalisierung gibt es sicherlich noch Luft nach oben, insbesondere bei den Klein- und Kleinstbetrieben. Hier sind wir aber auf einem guten Weg. Die Erfahrungen, die wir hier im KDH machen, zeigen, dass das Interesse und der Bedarf an Digitalisierungsmaßnahmen hoch sind. Obwohl viele Handwerks-betriebe nicht unmittelbar vom Corona-Lockdown betroffen waren, hat die Pandemie die Handwerkskonjunktur dennoch hart getroffen. Auch jetzt sind viele Betriebe noch mit höheren Kosten aufgrund von Auflagen bei gleichzeitig niedrigeren Umsätzen betroffen. Die wirtschaftliche Lage hat sich in den letzten Wochen zwar etwas verbessert, bleibt aber weiterhin angespannt.
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