Nachrichten rund um die Initiative

17. Juli 2020

„Der örtliche Einkauf ist als Erlebnis zu gestalten.“

Dr. Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und seit kurzem Experte unserer „Initiative für Gewerbevielfalt powered by Das Telefonbuch„. Im Interview erklärt er seine Einschätzung zum Spannungsfeld „Einzelhandel, Innenstadt und Corona“.

Herr Dr. Landsberg, welche konkreten Auswirkungen durch Corona haben sich für den lokalen Einzelhandel ergeben? Und was können Einzelhändler aus der neuen Situation „lernen“?

Dr. Gerd Landsberg: Der Einzelhandel befindet sich, primär durch den wachsenden Online-Handel, in einem großen Umbruch. Die Corona-Pandemie kam als Verstärker hinzu. Nach Aussagen von Handelsexperten ist in der Folge in näherer Zukunft mit der Schließung von bis zu 50.000 Einzelhandelsstandorten in Deutschland zu rechnen. Folgen sind vielerorts steigende Leerstände und damit verbunden die Gefahr eines „Ausblutens“ unserer Innenstädte und Ortskerne. Das A und O werden auch in Zukunft eine kompetente persönliche Beratung sowie ein Erlebnischarakter im stationären Handel sein – beides ist online schlechter abbildbar und kann so als Alleinstellungsmerkmal für den Einzelhandel vor Ort genutzt und ausgebaut werden.

Wo sollte der stationäre Einzelhandel aus Ihrer Sicht vermehrt drauf setzen, Stichwort „Digitalisierung“?

Dr. Gerd Landsberg: Durch den sowohl zeitlich als auch regional unbegrenzten Online-Handel konkurriert jeder örtliche Einzelhändler mit der ganzen Welt. Städte müssen daher gemeinsam mit dem örtlichen Handel den Fokus darauf legen, dass die Kunden auch unter Nutzung des Online-Handels „ihren“ örtlichen Einzelhändler stärken. Das beinhaltet neben lokalen Online-Marktplätzen digitale Produktinformationen und mobile Bezahlsysteme. Erfahrungen zeigen, dass die Kunden solche Angebote annehmen und nach der Produktsuche auf einem Online-Marktplatz ihre Waren beim Händler „vor Ort“ einkaufen, einschließlich eigener Lieferservices der örtlichen Händler.

Wie beurteilen Sie insgesamt die Lage des Einzelhandels und von KMU?

Dr. Gerd Landsberg: Ein immer stärker boomender Online-Handel, die Ausdünnung der Nahversorgung und neue Trends im Einkaufsverhalten verursachen eine Erosion des inhabergeführten und stationären Einzelhandels. Die Krise bedroht viele stationäre Einzelhändler, aber auch die Gastronomie, Kultur und weitere Einrichtungen. Insolvenzen und die jüngst angekündigte Schließung von vielen Karstadt-Kaufhof-Warenhäusern haben massive Auswirkungen auf die gesamte Innenstadt. Alle Akteure müssen daher Zukunftslösungen entwickeln und umsetzten. Die Immobilieneigentümer müssen für faire Mieten sorgen. Denn Leerstände schaden nun mal allen.

Das Telefonbuch engagiert sich als Partner des Mittelstands mit der „Initiative für Gewerbevielfalt“. Sollte Ihrer Meinung nach ein stärkeres Bewusstsein der Konsumenten geschaffen werden, dass der lokale Handel durch große Ketten mehr und mehr vom Aussterben bedroht ist?

Dr. Gerd Landsberg: Innenstädte und Plätze mit hoher Aufenthaltsqualität, Nutzungsmischung und Attraktivität stärken den Einzelhandel vor Ort. Die „Stärkung der Mitte“ muss noch mehr im Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger und der anderen privaten Akteure wie von Vereinen oder Gastronomen stehen. Weiter haben interkommunal abgestimmte Einzelhandels- und Stadtentwicklungskonzepte eine wichtige Funktion. Nur durch verbindliche Regeln zur Ansiedlung großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf integrierten Innenstadtstandorten kann ein Überhang an Verkaufsflächen und ein „Kannibalismus“ sowohl innerhalb verschiedener Kommunen als auch innerhalb des Handels verhindert werden.

In unserer „Initiative für Gewerbevielfalt powered by Das Telefonbuch“-CIVEY-Umfrage im Juni 2020 stimmten Entscheider aus KMU ab: 40% sehen die Unternehmen in der Pflicht selbst den Aufschwung zu schaffen, 44% fordern hingegen einen Bürokratieabbau und eine Förderung durch die Politik. Wie schätzen Sie dies ein?

Dr. Gerd Landsberg: Die Unternahmen und der örtliche Einzelhandel müssen gute Angebote, speziell für junge Käufer, schaffen. Städte und Gemeinden können durch Innenstädte mit hoher Aufenthaltsqualität, durch gute Wegebeziehungen, aber auch durch eine gute Erreichbarkeit, speziell mit dem ÖPNV, sowie durch Sicherheit und Sauberkeit, einen großen Beitrag leisten. Ein Garant für attraktive Innenstädte ist die gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen schon seit ca. 50 Jahren bestehende Städtebauförderung. Die Mittel des Bundes müssen hier auf mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr angehoben, die Co-Finanzierung der Länder muss gesichert und die Antragsverfahren müssen einfacher werden.

Welche zukünftigen Herausforderungen und Chancen sehen Sie für das lokale Gewerbe?

Dr. Gerd Landsberg: Nicht nur der lokale Handel, sondern auch Kommunen, Immobilieneigentümer und die Bürgerschaft müssen dem drohenden „Ausbluten“ unserer Innenstädte entgegenwirken. Dies erfordert eine konzertierte Aktion aller. Ziel müssen attraktive Innenstädte mit Erlebnisqualität und einer guten Nutzungsmischung von Handel, Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit sein. Die Bundesländer sind gefordert, den Städten flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten bei den Ladenöffnungszeiten zu geben.

Der Online-Handel muss durch den örtlichen Handel als Chance genutzt werden. Es gilt, die Strategien des Online-Handels und die Vorteile des stationären Handels sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Die Verschmelzung der Vertriebswege des Handels sowie die Digitalisierung der Geschäfte beinhalten daher die größte Serviceoffensive für den örtlichen Einzelhandel.

Mehr zum Thema GVI, der CIVEY-Umfrage und dem Whitepaper „Das Ende der Gewerbevielfalt?“ von unserer „Initiative der Gewerbevielfalt“ powered by Das Telefonbuch.

 

 


Über uns:
Die Initiative für Gewerbevielfalt setzt sich für den lokalen Einzelhandel und inhabergeführte Kleingewerbe in Deutschlands Städten und Gemeinden ein.
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