Nachrichten rund um die Initiative

27. August 2018

„Das Internet kann viel, aber keine Erlebnisse schaffen!“

Seit Online-Shopping mehr und mehr genutzt wird, haben es Einzelhändler immer schwerer. Aber Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institutes e.V., erklärt im Interview, dass der stationäre Handel in einer Sache die Nase vorn hat: dem „Erlebnis Shopping“. Dieses Potential könnten Einzelhändler gewinnbringend für sich nutzen.

Schlendert man durch eine von Deutschlands Einkaufsstraßen, fallen vielerorts leerstehende Ladenflächen auf. Dennoch kann man in letzter Zeit beobachten, dass diese auch immer wieder von Gastronomen übernommen werden. Wie sehen Sie diesen Trend?

Michael Gerling: Es ist zwar schade, dass sich der reine Einzelhandel allein nicht halten kann. Das Wichtigste ist aber doch, dass die Flächen überhaupt übernommen und attraktiv genutzt werden. Und gerade Gastronomie passt thematisch ja sehr gut zum Einzelhandel: Das sorgt für Aufenthaltsqualität in Deutschlands Innenstädten. Inzwischen geht ja der Großteil der Verbraucher in die Stadt, um das „Erlebnis Shoppen“ zu bekommen – längst nicht mehr, weil man wirklich dringend eine bestimmte Sache braucht. Viele Einzelhändler setzen inzwischen selbst auf zusätzliche gastronomische Angebote: Beispielsweise finden sich in vielen Buchläden kleine Kaffeebars, das steigert den Wohlfühlfaktor beim Einkaufen enorm und sorgt für Entschleunigung.

„Inzwischen geht ja der Großteil der Verbraucher in die Stadt, um das „Erlebnis Shoppen“ zu bekommen – längst nicht mehr, weil man wirklich dringend eine bestimmte Sache braucht.“ (Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institutes e.V.)

Und trotzdem scheint die Relevanz des lokalen Einzelhandels in der Kundenwahrnehmung immer weniger zu werden…

Michael Gerling: Eine gewisse Relevanz ist definitiv noch vorhanden! Aber die Verbraucher nehmen eine Einkaufsstadt nur dann als attraktiv wahr, wenn ein überschaubares Gebiet mit dichtgedrängtem Angebot vorhanden ist. Das bietet nämlich die Möglichkeit, sich an nur einem Ort von vielen Dingen inspirieren zu lassen, zu genießen und in Ruhe Eindrücke und Ideen auf sich wirken zu lassen. Auch die Mobilität ist ein Knackpunkt. Nur, wenn alles gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto erreichbar ist, wird eine Einkaufsstadt als attraktiv wahrgenommen. Gerade kleinere Städte und Ortskerne tun sich schwer, ein adäquates Angebot zum Verweilen zu schaffen.

Welche Rolle spielen die Städte und Gemeinden in der Gestaltung der Innenstädte?

Michael Gerling: Im Grunde genommen muss eine Stadt genauso agieren wie ein Shoppingcenter-Betreiber. Denn so ein Center hat einen zentralen Manager, bei dem alle Fäden zusammenlaufen: Durchführung von gemeinsamen Aktionen, Gewährleistung der Sauberkeit, kundenfreundlicher Öffnungszeiten, genügend Parkplätzen etc. In Innenstädten gibt es diese zentrale Anlaufstelle nicht. Zwar versuchen Stadtmarketingvereine und Gewerbeverbände gemeinsame Aktionen zu schaffen und zusammen etwas zu bewegen, aber die gesetzlichen Vorgaben sind sehr eng. So etwas wie einen verkaufsoffenen Sonntag zu organisieren, ist ein regelrechter Hürdenlauf. Dennoch tun die Städte und Gemeinden im Großen und Ganzen ihr Möglichstes, um den Einzelhandel zu stärken. Das unterscheidet uns in Deutschland übrigens sehr deutlich von den USA. Wir wollen vitale Innenstädte, während der Fokus dort ganz klar auf dem gebündelten Großangebot in Shoppingcentern liegt.

Welche Bedeutung hat das Internet und ganz spezifisch der Online-Handel für Innenstädte?

Michael Gerling: Ich möchte die Spielwarenbranche als ein Beispiel aus der Praxis nennen: Hier hat der Online-Handel inzwischen einen Marktanteil von ungefähr 40% und in den letzten Jahren mussten bedauerlicherweise auch sehr viele Spielwarenhändler ihr Geschäft schließen. Gerade bei Spielwaren ist es relativ einfach, im Internet zu bestellen, sofern man denn weiß, was man möchte. Zum Glück ist die Tendenz, online einzukaufen, nicht steigend, sondern weitestgehend gleichbleibend. Auf keinen Fall darf man das Internet als den großen Feind des Einzelhandels verteufeln.

Wie können sich Einzelhändler noch besser an die Bedürfnisse Ihrer Kunden anpassen?

Michael Gerling: Der stationäre Einzelhandel hat ganze deutliche Wettbewerbsvorteile gegenüber dem Onlinehandel. Um beim Beispiel des Spielwarenhändlers zu bleiben: eine Erklärung, wie ein Spielzeug aufgebaut werden muss, Empfehlungen, was zu welchem Kind passt und woran vielleicht auch die Eltern Spaß haben, gibt es nur vor Ort durch die kompetente Beratung der Verkäufer. Außerdem kann das Geschäft tolle Events veranstalten, wie beispielsweise Kindergeburtstagsfeiern oder Carrera-Abende für die Väter, die danach dann hoffentlich so begeistert sind, dass beim nächsten Weihnachtsfest auch eine Carrera-Bahn für die eigenen Kinder unterm Tannenbaum liegt. Ein anderes Beispiel wären Outdoor-Ausstatter. Wer neue Wanderschuhe braucht, kann sie entweder im Internet bestellen und dann auf der Reise feststellen, dass sie sich im Praxistest überhaupt nicht eignen. Oder er probiert sie in einem Laden an, der auf genau diese Produkte und die passende Beratung spezialisiert ist, läuft über die Teststrecke, die dem nächsten Reiseziel am nächsten kommt und spürt direkt, ob es das richtige Modell ist oder nicht. Ich kenne auch eine Filiale, die einen 200m² großen Indoor-See hat, wo alles, was mit Wasser- und Tauchsport zu tun hat, ausprobiert werden kann. Das Internet kann zwar viel, aber ein Erlebnis schaffen, das kann es nicht.

 27.08.2018

 

 


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